Krisen als Chance begreifen

15.11.2022

Dr. Astrid Mannes gehörte von 2017-2021 dem Deutschen Bundestag an und war zuvor Bürgermeisterin der Gemeinde Mühltal.

Jede Zeit hat ihre besonderen Herausforderungen. Doch derzeit stürzen besonders viele sehr gravierende Krisen gleichzeitig auf uns ein: Klimakrise, Energiekrise, Flüchtlingsströme, Corona-Pandemie, Inflation, zusammengebrochene Lieferketten oder Fachkräftemangel. Aktuell sieht man kaum noch Licht am Horizont. Doch Verzweifeln ist keine Option. Vielmehr sollten wir die Krisen als Chance begreifen. Denn Krisen legen Schwachstellen offen und können überfällige Veränderungsprozesse beschleunigen.

Unser Leben wird immer noch stark vom Corona-Virus bestimmt. Für die Politik kam die Corona-Pandemie unvorbereitet. Wie soll man sich auch auf einen „Gegner“ vorbereiten, den man nicht kennt. Anfangs wusste man noch nicht einmal, auf welchem Wege die Viren-Verbreitung stattfindet. Inzwischen wissen wir viel über das Virus und seine Mutationen und konnten Impfstoffe entwickeln, die allerdings weniger vor Ansteckung, sondern mehr vor schweren Krankheitsverläufen schützen.
Und obwohl nun langjährige Erfahrungen mit diesem Virus vorliegen, kann man wenig klare Linie seitens der Politik im Umgang mit der Pandemie erkennen. Bundes- und Landesregierungen finden keinen klaren Kurs. Auch die alte Bundesregierung hat Fehler im Umgang mit dem Virus gemacht – aus Unwissenheit und auf Grund von fehlenden Erfahrungen mit einer solchen Situation. Doch aus den Anfangsfehlern sollte man doch nun gelernt haben. Mittlerweile mangelt es nicht mehr – wie anfangs – an FFP2-Masken und Impfstoffen. Auch Medikamente zum Abmildern der Krankheitsverläufe sind mittlerweile auf dem Markt – doch die Infektionszahlen steigen wieder, bei hoher Dunkelziffer. So wäre es doch klug, auch einmal einen Blick in die Länder zu wagen, die besonders gut durch die Pandemie gekommen sind. Welche Maßnahmen haben sie getroffen?
Stattdessen lässt man nun alles laufen. Trotz hoher Infektionszahlen während des Sommers tat man so, als sei die Pandemie vorbei. Obwohl Masken üblicherweise keine gravierende Einschränkung für den einzelnen bedeuten, wurden sie nur noch von wenigen auf freiwilliger Basis über den Sommer getragen. Offenbar hatte die Mehrheit der Deutschen die Einstellung, wenn Masken in Innenräumen nicht vorgeschrieben sind, dann sind sie auch nicht erforderlich oder sinnvoll.
Durch die Pandemie wurden auch die Schulen vor eine völlig neue Situation gestellt – nicht nur durch Corona, sondern zusätzlich noch durch viele Kinder aus der Ukraine, die nun integriert werden müssen. Wollen wir das Bildungswesen krisenfest machen, dann müssen wir nicht nur eine Lösung für den Lehrermangel, der sich in Zukunft noch verstärken wird, finden, sondern auch für eine bessere Ausstattung der Schulen, mehr Unterstützung von „Problemschulen“, die Entrümpelung der Lehrpläne, die Weiterentwicklung der Curricula, verlässliche Rahmenbedingungen für den Prozess der digitalen Transformation (z.B. praktikable Datenschutzbestimmungen, Regeln für Distanzunterricht) sowie die Entlastung der Lehrer von Aufgaben, die mit ihrer eigentlichen Aufgabe des Unterrichtens nichts zu tun haben.

Die derzeitigen Krisen zeigen uns auch, wie abhängig wir von ausländischen Märkten sind. Die nicht mehr funktionierenden Lieferketten tangieren viele Branchen und Produkte - von Medikamenten, medizinischer Schutzkleidung bis hin zu Halbleitern und Chips.
Da sich Krisen, die ein solches Zusammenbrechen von Lieferketten verursachen, jederzeit wiederholen können, müssen wir – zumindest auf europäischer Ebene – systemrelevante und sensible Produktionen wieder aufbauen.
Wichtig ist vor allem, die Problemlagen, aus denen in Zukunft erst eine Krise erwachsen könnte, rechtzeitig auszumachen und zu beheben. So birgt die mangelnde Datensouveränität große Risiken. Cyberangriffe sind längst eine Methode der Kriegsführung ausländischer Staaten geworden und so ist es leichtsinnig, dass ein Großteil unserer Daten auf ausländischen Servern liegt.

Ich würde mir wünschen, dass die Politik die Krisen besser auswertet, damit wir eben die Fehlentscheidungen, die zur Entstehung dieser Problemlagen beigetragen haben, korrigieren und anders aufgestellt in die Zukunft gehen.

In dem Buch „Von Krisen und Chancen. Was Deutschland jetzt voranbringt“, das ich gerade im Leibniz Verlag St. Goar herausgegeben habe,  beleuchten 15 Wissenschaftler und Fachleute unterschiedlicher Fachrichtungen für ihren jeweiligen Bereich die Frage, was wir aus den derzeitigen Krisen lernen und wie wir uns für die Zukunft besser aufstellen können.
Dabei werden vor allem die Bereiche Digitalisierung, Bildung, Forschung, Gesundheitssystem, Wirtschaft, Staatsorganisation bzw. Verwaltung sowie die Stadtentwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Hochwasserschutzes beleuchtet.
 

Astrid Luise Mannes (Hg): Von Krisen und Chancen. Was Deutschland jetzt voranbringt, Leibniz Verlag St. Goar, ISBN 978-3-931155-07-0, 22 Euro.