Zum Jahresbeginn hat sich eine Debatte um die Rezeptpflicht der „Pille danach“ entwickelt. Die Vorsitzende der Frauen Union der CDU Maria Böhmer hat sich gegenüber den Medien gegen eine Rezeptfreigabe der „Pille danach“ positioniert: „Die Anliegen der Frauen müssen im Mittelpunkt stehen. Sie brauchen eine gute Beratung vom Arzt. Ich bin dagegen, die Rezeptpflicht aufzuheben. Wir haben ein dichtes Netz an Ärzten und für Notfälle gibt es Anlaufstellen. Niemand wird alleingelassen.“ Im vorliegenden Frage-Antwort-Katalog sind Argumente für und gegen eine Rezeptfreigabe der „Pille danach“ zusammengestellt.
Warum wird über die „Pille danach“ diskutiert?
Am 14. Januar 2014 hat sich der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht, welcher das Bundesgesundheitsministerium berät, nach strittiger Diskussion für eine rezeptfreie Abgabe der „Pille danach“ ausgesprochen. Der frühere Bundesgesundheitsminister Bahr (FDP) hatte den Sachverständigen-Ausschuss beauftragt, ein Votum abzugeben, nachdem SPD und Grüne im Bundesrat im November einen Antrag auf Abschaffung der Rezeptpflicht beschlossen hatten.
Nach Auffassung des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte spräche aus medizinischer Sicht nichts dagegen, wenn Apotheken zukünftig die „Pille danach“ ohne Vorlage einer ärztlichen Verordnung herausgeben würden. Wichtig sei, dass die Frauen eine ausführliche Beratung vom Apotheker hinsichtlich der möglichen auftretenden Nebenwirkungen erhalten sollten, so die Experten.
Dagegen sagte Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery dem Spiegel „Wir sollten die Rezeptpflicht nicht voreilig aufgeben“. Die Pille bedeute einen gravierenden Eingriff in den Hormonhaushalt, daher brauchten betroffene Frauen eine kompetente Beratung durch einen Facharzt. „Eine Apotheke kann das nicht in gleicher Form gewährleisten.“
Wie wirkt die „Pille danach“?
Bei der „Pille danach“ handelt es sich um ein Notfall-Verhütungsmittel auf Basis des Wirkstoffes Levonorgestrel. Dieses Arzneimittel kann eine Schwangerschaft nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr verhindern. Es verzögert den Eisprung und muss spätestens 72 Stunden nach dem Sex eingenommen werden. Wenn die Eizelle bereits in der Gebärmutter eingenistet ist, verhindert Levonorgestrel die Schwangerschaft nicht mehr. Bislang müssen sich Frauen das Mittel von einem Arzt verschreiben lassen. Laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums haben die Ärzte im Jahr 2012 die „Pille danach“ 396.000 Mal verschrieben.
Der Berufsverband der Frauenärzte weist darauf hin, dass es bei einer Rezeptfreigabe zu einer Zunahme von Schwangerschaftsabbrüchen kommen könnte, weil Levonorgestrel das am wenigsten wirkungsvolle Mittel ist, um eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern: Levonorgestrel verhindert in den ersten 24 Stunden nach dem ungeschützten Sex ein Drittel der möglichen Schwangerschaften, und in den Tagen danach noch viel weniger. Das Risiko, trotz Levonorgestrel schwanger zu werden, sei damit mehr als doppelt so hoch wie unter dem europaweit verschreibungspflichtigen modernen Arzneimittel Ulipristalacetat.
In den europäischen Ländern, in denen Levonorgestrel bisher rezeptfrei erhältlich ist, hat jedenfalls die Zahl der ungewollten Schwangerschaften seit der Rezeptfreiheit nicht abgenommen. Im Gegenteil: die Rate sei in Großbritannien, Frankreich und Schweden fast dreimal so hoch wie in Deutschland.
Levonorgestrel wirkt zudem nur bis zu einem Körpergewicht von 75 Kilogramm. Mädchen und Frauen, die mehr Gewicht auf die Waage bringen, werden durch das Medikament gar nicht vor einer Schwangerschaft geschützt. Ihnen hilft nur Ulipristalacetat; bei einem Körpergewicht über 95 Kilogramm wirkt aber auch dieses Medikament nicht mehr, und es müsste dann eine Kupfer-Spirale gelegt werden, um eine Schwangerschaft zu verhindern.
Was spricht für eine Rezeptfreigabe der „Pille danach“?
Organisationen wie pro familia argumentieren unter dem Verweis auf die „weibliche Selbstbestimmung“ für eine Rezeptfreiheit der „Pille danach“. Pro familia behauptet, dass in Ländern wie den USA, Großbritannien oder Schweden, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach Zulassung der rezeptfreien Abgabe gesunken sei. Die Verschreibungspflicht sei eine politische Frage und keine fachlich-medizinische. Demgegenüber sind laut Statistiken des Frauenärzteverbandes die ungewollten Schwangerschaften bei Teenagern in Ländern, die die „Pille danach“ freigaben deutlich angestiegen.
Für den freien Verkauf in Apotheken spricht sich beispielsweise die Sozialarbeiterin Sandra Förster von pro familia in Ludwigshafen in der Rheinpfalz aus. Die „Pille danach" müsste möglichst schnell nach einem "Sex-Unfall" geschluckt werden. Das Medikament hätte während der ersten 24 Stunden die beste Wirksamkeit und könne ohne einen zeitaufwendigen Umweg zum Arzt direkt angewendet werden. Bisher sei es für Betroffene gerade abends oder am Wochenende nicht einfach gewesen, ein entsprechendes Rezept zu bekommen. Außerdem stellten gar nicht alle Ärzte ein Rezept für die „Pille danach“ aus. Weiterhin sieht Frau Förster es als unproblematisch an, dass die „Pille danach" ohne ärztliche Verschreibung oder gar Aufsicht eingenommen wird. Studien würden belegen, dass es ein verträgliches Medikament sei. Immerhin ermahnt die Sozialarbeiterin von pro familia die Jugendlichen sich nach der ersten Einnahme unbedingt umfassend über zuverlässige Verhütung und entsprechende Mittel zu informieren.
Ob sich gerade junge Mädchen im Anschluss an die rezeptfreie Einnahme der „Pille danach" tatsächlich noch von Experten beraten lassen, bezweifelt Frauenarzt Werner Harlfinger aus Mainz in der Rheinpfalz. "Dabei konnten wir durch diese Gespräche in den vergangenen Jahren die Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr bei Mädchen bis 18 Jahren um die Hälfte reduzieren", erklärt der Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzte. Deutschland besitzt derzeit eine der geringsten Raten von Teenager-Schwangerschaften und Abtreibungen in ganz Europa. Der Frauenarzt weist auch noch auf ein weiteres Problem hin: „Viele Frauen wissen überhaupt nicht, wann sie einen Eisprung haben, nehmen die Pille danach umsonst und haben durch den verschobenen Eisprung ein viel höheres Risiko, schwanger zu werden als vorher."
Die Frage nach einem Rezept nutzten nach der Einschätzung von Werner Harlfinger deutsche Frauenärzte für ein Aufklärungsgespräch, auch über die Risiken der „Pille danach". "Diese Pillen sind keine Bonbons, sondern besitzen die Wirkung einer halben Packung der normalen Antibabypille", erklärt er und verweist auf mögliche Folgen wie Thrombose.
Durch den rund um die Uhr besetzten Bereitschaftsdienst sei es für die Betroffenen unproblematisch, das Medikament zu bekommen. Eine vergleichbare Beratung könnten die Apotheken nicht leisten. Der Frauenarzt mahnt vor einem Verhütungschaos nach Beginn der Rezeptfreiheit der „Pille danach“. Würden Frauen das Medikament während ihres Zyklus mehrmals einnehmen, brächte es ihren Hormonhaushalt völlig durcheinander. Er sieht das Risiko von mehr ungewollten Schwangerschaften.
Finanzielle Auswirkungen der Rezeptfreigabe
Im Jahr 2013 haben rund 35.000 Frauen zwischen 12 und 21 Jahren die sogenannte Pille danach in einer Apotheke auf Kassenrezept erhalten. Das ergab eine Hochrechnung der Versichertendaten der KKH Kaufmännische Krankenkasse. Damit hat rein rechnerisch jede 100. Frau in dieser Altersgruppe die Pille danach schon einmal genommen. Ein besonders drastischer Fall: Eine Versicherte ließ sich viermal in vier Monaten die Pille danach von einem Arzt verschreiben.
Die KKH macht darauf aufmerksam, dass die Rezeptfreigabe finanzielle Auswirkungen für diese Frauen hätte: Würde die „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht entlassen werden, müssten zukünftig auch die Frauen zwischen 12 und 21 Jahren die Pille danach selber zahlen – einen Betrag von rund 20 Euro. Denn nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind für Kinder über 12 Jahren nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig.
Aktuell hat der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jens Spahn in seinem Blog zur „Pille danach“ noch weitere Aspekte beschrieben. Er kann nicht verstehen, dass es für die Kritiker selbstverständlich sei, dass es die Antibabypille nur auf Rezept gibt. Bei der „Pille danach“, die eine viel höhere Dosierung von Hormonen enthält, sei der Ruf nach der Aufhebung der Rezeptpflicht jedoch laut.
Die diskutierte Freigabe von Levonorgestrel würde weiterhin bedeuten, dass die Patientin über das bessere und neuere Präparat Ulipristalacetat, welches seit drei Jahren weltweit als das Standardpräparat gilt, gar nicht informiert werde, es ihr aber zumindest bei der Apotheke nicht so einfach zugänglich wäre. Denn über eine Freigabe aus der Rezeptpflicht dieses neuen Präparats kann nur die EU-Kommission entscheiden, nicht die Bundesregierung. Folge wäre die fatale Situation, dass die „Pille danach“ mit den höheren Nebenwirkungen und der geringeren Wirksamkeit einfach in der Apotheke erhältlich wäre, das bessere Präparat als Alternative aber gar nicht mehr in Betracht gezogen würde.
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