Contra Mitgliederentscheid

15.10.2021

Für Anika Zimmer, Mitglied im Bundesvorstand und im Landesvorstand der Frauen Union der CDU NRW, ist das Delegiertenprinzip die repräsentativste Form der Willensbildung in einer Partei.

Ich war eine von 1001 Delegierten, die Armin Laschet damals zum Parteivorsitzenden gewählt hat. Meine Entscheidung habe ich mir reiflich überlegt und nicht einfach gemacht. Ich habe mir nach Gesprächen mit den Kandidaten und Vorstellungsrunden eine Meinung gebildet. Am wichtigsten für meine Entscheidungsfindung war jedoch die Rücksprache und offene Diskussion mit den Parteimitgliedern, die mich ja auch als Delegierte zum Bundesparteitag gewählt haben.

Die Abstimmung über einen Parteivorsitzenden und dann letztlich auch Kanzlerkandidaten muss gut überlegt sein, alle Argumente, die müssen genau abgewogen werden. Dabei gilt es nicht nur zu beachten, wer gut für unsere Partei ist, sondern auch wer gut für unser Land ist.

Als Mitglied der CDU habe ich vielfältige Möglichkeiten, mich einzubringen und mitzubestimmen. Dazu gehört auch, dass ich den Delegierten meine Stimme gebe, die meine politischen Überzeugungen dann in den Parteigremien vertreten.

Für mich ist daher die Wahl des CDU-Bundesvorstands durch die 1001 Delegierten aus unserer Partei, -  die repräsentativste Form der Willensbildung in einer Partei. Jede Stimme eines Parteimitgliedes wird gehört. Durch das Delegiertenprinzip werden die Stimmen lediglich gebündelt, repräsentieren aber nach wie vor die Mitglieder in ihrer ganzen Vielfalt. Davon bin ich überzeugt.

Stellen wir uns vor, wir hätten die Entscheidung zum Parteivorsitz im Januar per Mitgliederentscheid getroffen. Nach mehreren Abstimmungsrunden hätte Armin Laschet sich bei einer Wahlbeteiligung von 54 Prozent aller Mitglieder mit 53 Prozent der Stimmen durchgesetzt (Vergleichszahlen mit der Vorsitzendenwahl der SPD 2019). Glaubt jemand von Ihnen wirklich, dass nun jedes Mitglied dieses Ergebnis anerkannt hätte und dieser Wahlkampf anders, geschlossener verlaufen wäre? Hätten wir bei einem solchen Ergebnis davon sprechen können, dass Armin Laschet von der Basis legitimiert wurde?

Was ist ein repräsentativer Entscheid, der nicht von der „anderen“ Seite angezweifelt werden kann. 80%, 60% oder reichen auch irgendwann nur noch 40%?  Tendenziell ist die Beteiligung bei Mitgliederbefragungen und –entscheidungen eher gering und dann damit auch die Legitimation der Gewählten.

Wie hätten sich die CSU- und CDU-Mitglieder in der Kanzlerfrage entschieden? Hätten wir als CDU-Mitglieder wirklich mehrheitlich in letzter Konsequenz für einen Kandidaten der Schwesterpartei gestimmt? Nur zur Erinnerung die CDU hat fast dreimal so viele Mitglieder wie die CSU.

Und vor allen Dingen, hätte ein CSU-Kanzlerkandidat wirklich die besseren Ergebnisse geliefert? Zumal ich den Eindruck habe, dass sich die vorübergehende Popularität des CSU-Kandidaten nicht aus eigener Stärke speist, sondern lediglich aus der vermeintlichen Schwäche und Unpopularität des anderen Kandidaten. Entscheiden Meinungsumfragen dann bei Mitgliederentscheiden? Wie werden Meinungen gebildet? Lassen wir uns von Umfragen leiten, von den Loyalitäten gegenüber unseren Landesverbänden und Vereinigungen oder wählen wir den Kandidaten, der den größten gemeinsamen Konsens darstellt und die unterschiedlichen Flügel unserer Partei einen kann, der schon Regierungserfahrung hat, der für die breite Mehrheit der Wähler auch wählbar ist. Haben dann Kandidaten aus kleineren Landesverbänden eine Chance, wenn ein Kandidat aus Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen kommt?

Wenn man das Mitgliederprinzip konsequent zu Ende denkt, müssten dann auch die Mitglieder über einen möglichen Koalitionsvertrag abstimmen, wie es die SPD ja bereits schon gemacht hat. Und wenn dann der Koalitionsvertrag auf Ablehnung trifft, stellen wir dann die Partei über das Land und nehmen Neuwahlen in Kauf?

Und auch einem stärkeren Einbezug der Bundestagsfraktion stehe ich kritisch gegenüber. Mehr als ein Viertel der Abgeordneten trat nicht mehr zur Bundestagswahl an bzw. haben viele Abgebordnete bei der Bundestagwahl weder direkt noch über die Liste ein Mandat erhalten. Sie sind daher weder die Basis noch repräsentativ für die Partei.

Es sollte ein stärkerer inhaltlicher Einbezug der Mitglieder stattfinden, um zu wissen, was die Parteibasis denkt. Innerparteiliche Demokratie muss anders gestaltet werden. So haben sich die Regionalkonferenzen 2019 als Erfolgshit gezeigt. Jeder konnte sich ein Bild von den thematischen Ausrichtungen der drei Kandidaten Spahn, Merz und Kramp-Karrenbauer machen. Ebenso gut gemacht war die Zuhör-Tour von AKK. Unsere Mitglieder haben sich mitgenommen und gehört gefühlt. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, die Basis stärker einzubinden. Das Potential, was wir vor Ort haben, auch nutzen.

Ich finde, dass wir es uns zu einfach machen würden, wenn wir nun in dieser großen Krise, in der unsere Partei steckt, die Verantwortung durch einen Mitgliederentscheid auf die Mitglieder abwälzen würden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Ruf nach Mitgliederentscheidungen nicht dem Willen nach mehr Transparenz entspricht, sondern nach populären Entscheidungen.